Schwäbisch von der Kanzel wird gern gehört

Württemberg. Die Kirchenleitung sieht die Mundartpredigt nicht mehr negativ. Bauerntheater darf sie aber nicht werden

Stuttgarter Zeitung, 22.12.2010 - von Klaus Wagner

Sie tun es an der Fasnet, aber auch an einem ganz normalen Sonntag, an Erntedank und an Weihnachten, von ihrer Kirchenkanzel, beim Fußballverein und auf dem Volksfest – etliche Pfarrer in der Evangelischen Landeskirche Württembergs predigen mittlerweile im Dialekt. Nicht immer, aber immer wieder. Mit dem Gottesdienst in der Mundart, so argumentieren sie, erreichten sie andere und mehr Zuhörer als im hochsprachlichen Sonntagsgottesdienst. In Simmozheim (Kreis Calw) hat der Oberkirchenrat den Dialektpredigern sogar ausdrücklich gedankt und den Rücken gestärkt.

Auf die Gedanken von Ulrich Heckel waren die Pfarrer gespannt. Der Theologe war lange Gemeindepfarrer, zuletzt in Göppingen, er ist seit 2008 der Leiter des Dezernats für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im Stuttgarter Oberkirchenrat. Paulus sei den Griechen ein Grieche geworden, den Juden ein Jude und den Deutschen ein Deutscher – warum sollte er nicht „den Älblern ein Älbler werden“? Und er sagte weiter: „Das Spiel mit der Sprache hat seinen Reiz. Die Menschen können auf Schwäbisch in einer Tiefe erreicht werden, die in der Hochsprache nicht möglich ist“.

Dann sprach er „allen schwäbischen Predigern den Dank und die Anerkennung der Kirchenleitung“ aus. „Die Aufgabe der Predigt ist es, das Evangelium zu verkündigen.“ Wenn jemand dies im Dialekt ernsthaft betreibe, „dann ist das eine legitime Sache und Bereicherung“. Mundart im Gottesdienst sei ein kräftiger Farbtupfer – der allerdings den normalen Gottesdienst nicht ersetze und auch nicht „zur Humornummer“ werden dürfe. Dies war Balsam für die Seele der Pfarrer mit schwäbischer Zunge. Und es war eine glatte Kehrtwende der Kirchenleitung und eine Bestätigung für die Pioniere des Mundartpredigens wie Manfred Mergel aus Simmozheim, Friedemann Binder aus Rechberghausen (Kreis Göppingen), Rudolf Paul und Wilhelm Kern aus Südwürttemberg oder Hans Hilt aus Gerlingen, um nur einige zu nennen. Die Landeskirche hatte nämlich noch vor wenigen Jahren deutlich gemacht, dass man das schwäbische Predigen nicht fördere. Eines gab Heckel zu bedenken: „Der Dialekt kann Nähe und Vertrautheit eröffnen, aber auch zudringlich wirken oder zur Klamotte werden.“

Auf Nachfrage unserer Redaktion wurde Heckel konkreter: Er könne sich vorstellen, dass die Mundart nicht nur im Gottesdienst benutzt werde, sondern „auch auf dem Friedhof oder bei Konfirmanden“ – beim Lebenslauf des Verstorbenen zum Beispiel oder als Übersetzung der Denksprüche der jungen Leute. Für die Tagungen der Dialektpfarrer, vor Jahren von der württembergischen Kirchenleitung noch strikt abgelehnt, gebe es „genug Themen“.

Heute ist Schriftdeutsch in der Kirche normal – dabei wurde schon viel länger der Dialekt benutzt. Norddeutsche Pfarrer sprachen auf der Kanzel schon seit dem Spätmittelalter Plattdeutsch, erst mit der Reformation sei das Schriftdeutsche in die Kirchen eingezogen, erläuterte der Professor für Praktische Theologie in Neuendettelsau, Klaus Raschzok. Seit 1953 gebe es im Norddeutschen Rundfunk jeden Morgen eine plattdeutsche Andacht. In Siebenbürgen sei es mit dem sächsischen Dialekt ähnlich gewesen, ebenso in der Schweiz. In den achtziger und neunziger Jahren habe es in der Pfalz und in Bayern Bemühungen gegeben, „die Mundart gottesdienstfähig zu machen“ – und auch in Württemberg.

Bereits 1980 gab es in Löwenstein (Kreis Heilbronn) eine Tagung zu diesem Thema. Damals setzten sich einige Pfarrer aus Württemberg, darunter auch Friedemann Binder, mit den Chancen und Risiken des Schwäbischen in der Kirche auseinander. Die ganz große Gefahr, in die sich ein Dialektprediger begibt, wurde bei einer Umfrage unserer Zeitung vor einigen Jahren deutlich: dass nämlich der Mundartgottesdienst zum „Bauerntheater unterm Kreuz“ wird. Weil die Leute nicht wegen der Botschaft Christi in die „schwäbische Kirch“ gehen, sondern um sich zu unterhalten. Aber die Lukas- oder Lutherkirche ist eben nicht die Mäulesmühle. Dazu gab der Simmozheimer Pfarrer Manfred Mergel (51), einer der Pioniere des Dialektpredigens, eine Anekdote zum Besten: Nach seiner ersten Weihnachtspredigt auf Schwäbisch habe ihm ein Besucher gesagt: „Herr Pfarrer, i han denkt, i ko mr uff d' Schenkel klopfa. Jetzt han i abr nochdenka miaße.“

Erreicht ein auf Schwäbisch predigender Pfarrer die Leute „ibers Gmiat“? Ist eine Mundartpredigt gekünstelt oder gar viel „echter“ als eine auf Hochdeutsch? Kann Übersetzung wirklich verdeutlichen und die Leute auf dem Boden erreichen, auf dem sie stehen? Die Mundartpfarrer haben noch viele Themen. Ulrich Heckel erinnerte sich jetzt kurzv vor Weihnachten an eines: während seiner Göppinger Zeit leitete er immer wieder die Weihnachtsfeier für Einsame. Dabei hat die Pfarramtssekretärin die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Auf Schwäbisch.

„Die Dialektpredigt ist kein billiges Gaudium.“
Pfarrer Manfred Mergel aus Simmozheim